Oliver ist 16 Jahre alt, als der damalige Jugendfeuerwehrwart aus Ahlerstedt, Rolf Lippold, uns anspricht und Oliver einlädt, doch einmal die Jugendfeuerwehr zu besuchen. Ich habe es, ehrlich gesagt, nicht wirklich ernst genommen. Aber Rolf Lippold bleibt dran. Er trifft Oliver und seinen Vater, Hauptfeuerwehrmann Gerhard Sievers aus Oersdorf, am 11.08.1996 auf dem Feuerwehrfest in Oersdorf. Nun geht alles ganz schnell: Ich fahre zwei Tage später zum Dienstabend der Jugendfeuerwehr. Wir wollen es uns mal anschauen…… „Nein“, sagt Rolf Lippold, „Oliver soll mitmachen. Er kann gleich dableiben.“ Ich bin platt. O.K., dann lasse ich Oliver also da und hole ihn nach Dienstschluss wieder ab. Er ist total begeistert. Seit dem 13.08.1996 ist er also Mitglied der Jugendfeuerwehr Ahlerstedt. Mit allem drum und dran, mit Dienstanzug, Helm, Handschuhen, Dienstjacke! Oliver ist begeistert, trägt seine Feuerwehrsachen ganz stolz, auch abends Zuhause. Während andere die Jugendfeuerwehr verlassen, tritt Oliver mit 16 1/2 Jahren ein.
Es vergehen die Jahre. Ich habe mich nicht darum gekümmert, welche Rolle Oliver beim Feuerwehrdienst spielt, habe mir gedacht, dass wohl alle gut miteinander auskommen und er seinen Platz als Beobachter/Begleiter gefunden hat, sie sich nicht gegenseitig behindern und er keine Arbeit macht. So kenne ich Oliver. Es gibt auch keine Fragen seitens der Feuerwehr; Oliver geht immer gern zum Dienst und kommt überglücklich nach Hause. Sein Selbstbewusstsein steigt immens. Aber eines Tages kommt Oliver total bedrückt vom Dienst. Er ist richtig fertig. Und ich denke mir: das ist es wohl nun mit der Feuerwehr gewesen. Ich frage bei Rolf Lippold nach und erfahre, dass die Feuerwehrkamerad/innen theoretischen Dienst hatten und etwas aufschreiben mussten. Oliver beherrscht aber nicht die allgemein gültige und für jedermann lesbare Schrift; er schreibt in seiner „Geheimschrift“, die nur er lesen kann. Das war ihm äußerst peinlich. Ich nehme Kontakt mit Rolf Lippold auf, und fortan bekommt Oliver die Rolle des Funkbeobachters, sitzt auf dem großen Feuerwehrfahrzeug, hört den Funkverkehr ab, wenn mal wieder Theorie auf dem Programm steht. So ist dieser Posten endlich besetzt. Wie man bis dato ohne Funkbeobachter klar kam …….. ? Manchmal gesellt sich ein Feuerwehrkamerad zu ihm und unterstützt ihn bei seiner verantwortungsvollen Aufgabe. Anfassen ist verboten. Wenn es mal jemand versucht, setzt Oliver sich durch und verschafft sich Respekt. Eine Beschwerde beim Jugendwart nützt nichts. Es heißt: „Wenn Oliver sagt, dass du das nicht anfassen darfst, dann darfst du das nicht anfassen!“ Klare Ansage, von allen Funkabhör-Assistenten respektiert, und Oliver hat eine „echte Aufgabe“, besitzt sogar Weisungsbefugnis.
Im Jahr 2000 übernimmt Marc Schwarze das Amt als Jugendwarts, und Sandra Tsilikis wird seine Stellvertreterin. Mit Rolf Lippold ging für Oliver ein Traum in Erfüllung. Und die Nachfolger schaffen es und entwickeln Oliver zu einer kleinen Persönlichkeit, in dem sie ihm übergeordnete Aufgaben als Teil der Leitung übertragen. Als kritischer Beobachter der Dienstabende geht die letzte Frage immer an ihn. Er muss Auffälligkeiten berichten und Feedback geben. Kamerad/innen und Leitung nehmen seine Aussagen ernst.
Von all dem bekamen wir nichts mit. Ich freute mich über Olivers Persönlichkeitsentwicklung und dass ihm die Jugendfeuerwehr Ahlerstedt sichtlich gut tut. Oliver ist bei Schützenfesten als Kamerad bei der Absicherung dabei, fährt auf den großen Fahrzeugen mit. Bei den Jahreshauptversammlungen der Jugendfeuerwehr ist sein Platz neben dem Jugendfeuerwehrwart am Chef-Tisch.
2003 ruft mich Marc Schwarze an, ob ich einen Bericht vorab lesen und evtl. korrigieren würde, den man über Oliver schreiben und auf der Homepage der Jugendfeuerwehr veröffentlichen wolle. Ja klar. Ich weiß es noch wie heute: Ich sitze mit Tränen in den Augen, total gerührt, zusammen mit meinem Mann, vor dem PC und lese den Bericht über Oliver. Das habe ich nicht gewusst! Mit diesem Bericht habe ich erst erfahren, dass Oliver nie ein Mitläufer, Gast oder Beobachter war, sondern dass er und alle Kamerad/innen und Führungskräfte auf Augenhöhe miteinander umgehen. Es gibt Aufgaben für Oliver. Es gibt keine Sonderrolle, weder im Umgang noch mit „Extra-Würsten“. Das wäre auch nicht gegangen. Die Jugendfeuerwehr leistet großartige Arbeit, muss mit voller Konzentration überall sein, trägt große Verantwortung für jeden einzelnen, nimmt die jungen Menschen an wie sie sind, fordert und fördert und entwickelt sie zu kleinen Persönlichkeiten, erfüllt Dienstpläne und macht einfach eine tolle Arbeit.
Der Bericht erscheint zu Olivers Beförderung zum „aktiven Feuerwehrmann“. Unglaublich: Oliver wird bei der Jahreshauptversammlung 2003 vom Gemeindebrandmeister, Harald Lange, als aktiver Feuerwehrmann (ehrenhalber) ausgezeichnet. Sein Vater, der ja selbst Feuerwehrmann in Oersdorf ist, kann es nicht glauben. Erst als Oliver ihm die Urkunde zeigt, ist er überzeugt und mächtig stolz.
Damit soll die Spitze seiner Feuerwehrkarriere noch nicht erreicht sein. 2011 zeichnet Harald Lange Oliver mit dem Dienstgrad „Oberfeuerwehrmann“ (ehrenhalber) aus. Seine Schulterstücke bekommen einen silberfarbenen Stern. Wow. Wir sind platt. In seinem Zimmer hängt die Urkunde, direkt neben der anderen Urkunde.
2012 sind wir in den Landkreis Diepholz – genauer in die geografische Mitte Niedersachsens – gezogen. Hier wollen wir eine Mehrgenerationen-Lebensinsel mit Café, Garten und Ferienzimmer verwirklichen, und Oliver soll auf dieser Hofstelle mit weiteren Menschen mit und ohne Handicap ein Leben lang arbeiten und leben.
Wir sind der Jugendfeuerwehr Ahlerstedt sehr dankbar. Die Kamerad/innen und Leiter/innen haben einen großen Anteil an der Persönlichkeitsentwicklung Olivers. Ihr wusstet nicht, was Inklusion ist; ihr habt sie praktiziert. Und ich wusste es auch nicht; ich habe Oliver und euch vertraut. „Ihr macht das schon.“
D A N K E .
Mit dem Jugendfeuerwehrwart, Ralf Heitmann, bestand ebenfalls eine große freundschaftliche Verbundenheit. Eine „beständige Größe“ ist für Olli auch der Betreuer und Samtgemeinde-Jugendwart Andre Tomfohrde. Jetzt ist es Ollis ehem. Kamerad Kevin Heckmann, der die Jugendfeuerwehr leitet. Oliver hat er immer auf dem Zettel, wenn es z. B. um die Jahreshauptversammlung geht. Als sein „Assistent“ hält Olli das Schlusswort. Es ist mucksmäuschenstill. Aber dann kann die Jahreshauptversammlung auch schon mal recht spaßig enden, wie 2018, als André Tomfohrde und der stellvertretende Ortsbrandmeister, Mirko Witkowski, von Oliver zu einer kleinen Showeinlage animiert werden. Ich glaube, die Ahlerstedter Feuerwehr hat immer noch keine Ahnung von Inklusion. Dieses Wort braucht es bei ihr nicht. Von den jüngsten bis zum ältesten Kameraden, vom Betreuer bis zum Leiter der Jugendfeuerwehr, von den Ortsbrandmeistern bis Samtgemeindebrandmeister begegnen sich alle kameradschaftlich und auf Augenhöhe. Alle werden nach ihren Fähigkeiten gefordert und gefördert. ….. und die Fähigkeiten werden erkannt.
Oliver nimmt immer noch gern an den Umzügen in Ahlerstedt teil und sorgt mit seinen Kameraden für die Sicherheit bei Schützenfest-Umzügen.
Oliver ist Ehrenmitglied der Jugendfeuerwehr Ahlerstedt. Was für eine Ehre; für Oliver, für seine Eltern in Martfeld und Ahlerstedt (Oliver hat doppelte Eltern) und für seine Kamerad/innen bei der Jugendfeuerwehr Ahlerstedt.